Auf den Spuren unserer Ahnen

Online veröffentlicht am 24. Januar 2024

Autorin: Cornelia Schmoock

Kurzer Rückblick:

Am 12. August 1943 legt die Coburg, ein Fischereidampfer mit Eisverstärkung, im Hafen von Warnemünde zu einer Reise nach Nordostgrönland ab. An Bord befinden sich 18 Mann, die Besatzung und eine Gruppe von Meteorologen, die in Grönland abgesetzt werden sollen, um Wetterbeobachtungen vorzunehmen und diese nach Europa zu funken. Steuermannsmaat Kurt Koos überlieferte uns die Erlebnisse dieser Reise, die er im Kriegsgefangenenlager Thore aus seiner Erinnerung niederschrieb.

Serie über eine im Packeis von Grönland gestrandete Mission im Jahre

1943 und 1944 – 2. Teil

Fortsetzung des 1. Teils

Die Reise verläuft zunächst über die norwegische Schärenküste und wir erhalten im ersten Teil Eindrücke vom Leben an Bord während des II. Weltkrieges in skandinavischen Gewässern. Nach einigen Stunden herrlicher Fjordfahrt ist Ålesund in Sicht, auf dessen Außenreede wieder der Anker fällt. Ålesund, diese 1908 fast abgebrannte Stadt, ist im Gegensatz zu den anderen norwegischen Städten heute fest aus Stein erbaut. Daran ist wohl auch die finanzielle Hilfe des ehemaligen deutschen Kaisers Wilhelm II. maßgebend gewesen. Außer Molde war Ålesund sein Lieblingsziel mit seiner Yacht „Hohenzollern“ auf seinen so von ihm geliebten Nordlandfahrten. Wie sonst an vielen Orten findet man hier nicht so eine starke Ablehnung der Deutschen, und das ist wohl hauptsächlich eine Nachwirkung dieser sozialen Tat des sonst so besonders im Ausland gehaßten Herrschers. Mit ihren fast 8000 Einwohnern zählt sie zu den mittleren Städten Norwegens. Fisch- und Walfang bilden ihre Hauptindustrie.

Am nächsten Tage geht es weiter nach Norden. Der Wind ist auf SO umgesprungen und das Wetter klärt sich zusehends auf. Herrlicher Sonnenschein liegt auf den schroffen Bergformen der Inseln des Außenfjordes, des für landschaftliche Schönheit berühmten Moldefjordes. Hier saß ich im Herbst 1940 in einer der vielen Sperrbatterien und träumte von ferner Seefahrt – und nun habe ich sie!

Jedoch senken sich dann bald die hohen Berge und es scheint, als ob sich das Land unter Wasser fortsetzen wolle. Die fast gerade Fahrstrecke zieht sich dicht an der flachen, steinigen Küste entlang. Aber soweit das Auge zur offenen See hinausreicht, Schäre an Schäre, oft nur einige Quadratmeter groß. Alles andere befindet sich flach unter dem Meeresspiegel, Schaumkranz an Schaumkranz, einer neben dem anderen. Nur den Gewieftesten unter den ortsansässigen Fischern aus Lud oder Kristiansund ist es mit kleinen Booten möglich, bei gutem Wetter die ca. 2 – 3 Seemeilen breite Untiefenbarriere zu passieren. Auch die Fahrrinne ist von vielen kleinen Untiefen verseucht. Welcher genaue Kurs hier eingehalten werden muß, bezeugen die Leuchttürme und Richtungsbaken, welche in vermehrter Anzahl am Küstenrand und auf den Klippen stehen. Erst bei Kristiansund hört dieser Wirrwarr auf. Nach einer kurzen Seestrecke geht es hinein in den fast geraden 25 Seemeilen langen südlichen Trondheimfjord. Bei der Abzweigung nach Trondheim, welches noch etwa 15 Sm weiter im Land liegt, beginnt es dunkel zu werden und wir ankern deshalb unter der Insel Garten. Wie gerne wäre ich noch mal nach Trondheim reingefahren und durch dessen schöne Straßen gepilgert. Wie schön sitzt es sich in Möller´s Restaurant – aber es ist seemannslos! Wie oft hat man das Schönste und Herrlichste in der Nähe und man fährt daran vorbei. Jetzt heißt es Ankerwache schieben, denn das Wetter ist sehr ungemütlich geworden. Ein eisiger Wind weht aus NW. Die Nacht ist dunkel und trübe. Doch zum Morgen klart es wieder auf und der Wind flaut ab, sodaß wir unsere Fahrt fortsetzen. Ab heute Morgen stehen wir auf eigenen Füßen. Das Geleit ist nach Trondheim eingelaufen und wir fahren nun allein weiter. Die Landschaft bietet keinen Reiz mehr, die Küste ist niedrig, grau und öde, fast unbewohnt. Nur hier und da hockt ein ärmliches Fischerhäuschen auf einer einsamen Klippe. Das Fahrwasser ist schwierig und voller Untiefen. Man benötigt alle Aufmerksamkeit, um genau im Fahrwasser zu bleiben. Schon im Laufe des halben Vormittags tritt wieder Wetterverschlechterung ein. Dichte Nebelschwaden kommen von der offenen See herüber. Innerhalb einiger Minuten ist es so dick geworden, daß wir uns nicht mehr frei sehen können. In unmittelbarer Nähe befindet sich kein einwandfreier Ankerplatz und wir sind deshalb gezwungen, zu unserem alten zurückzukehren. Jetzt erst beweist sich das wahre Können des Seemanns. Nun muss genau gekoppelt werden. Von Seezeichen zu Seezeichen, von Leuchtfeuer zu Leuchtfeuer wird auf der Karte der Kurs abgesetzt, die Fahrzeit berechnet und die Strecke mit der Uhr in der Hand abgelaufen.

Da die Fahrgeschwindigkeit sehr herabgesetzt ist, kommen die Einflüsse der Stromversetzung und die Abtrift durch den Wind sehr in Betracht.

Ach! Was war das früher ein Jammer mit dem Magnetkompaß! Die norwegischen Gebirge enthalten sehr viel Eisen, welche einen starken Einfluß auf die Kompaßnadel ausüben. Dadurch ist es erklärlich, daß die Kompensierung nur für kurze Zeit ihre Richtigkeit behält.

Ich erinnere mich noch, daß beim Passieren des Sundes (südlich Hammerfest, Einfahrt nach Alta) auf einer bestimmten Stelle der Kompaß plötzlich für einige Minuten 4 – 5 Strich nach rechts ausschlug und noch Stunden später ein Gebaren zeigte, als wenn die Kompaßnadel eine Spritfüllung gesoffen hätte. Es blieb sich auch egal, ob man in den Fjord hinein oder hinaus fuhr. Jedes Mal bekam er diesen sogenannten Schlag und konnte sich nur langsam wieder davon erholen. Ich habe mich öfters mit Kameraden von anderen Schiffen darüber unterhalten und Erfahrungen ausgetauscht. Bei vielen war es nicht so schlimm. Sie hatten vielleicht norwegische Kompasse an Bord. Der norwegische Kompaßbau versucht diesen Umstand zu mildern, indem er relativ schwache Magneten einbaut und somit die Reaktionsfähigkeit herabsetzt. Für die lokale Schiffahrt genügt dieser Kompaß vollkommen, da der Entfernungsunterschied vom magnetischen Pol bei der hiesigen Küstenschiffahrt kaum in Betracht fällt. Unser englischer Kompaß, welchen wir damals an Bord hatten, war für den Gebrauch in der Großschiffahrt vorgesehen, enthielt ziemlich starke Magnete und tanzte deshalb in den Schärengebieten wie eine besoffene Ente auf einem Wassertümpel. Wie herrlich ist es aber jetzt dagegen, mit unserem neuen Kreisel zu fahren. Die beiden geringfügigen Fehler A und F fallen dagegen kaum ins Gewicht. Vor allem aber, sie bleiben konstant und man braucht niemals ein Mißtrauen gegenüber dem Kompaßkurs zu haben, wie es beim Magnetkompass in diesen Gewässern fast immer der Fall ist. Wir brauchen mehrere Stunden für den Rückweg, um den alten Ankerplatz wieder zu erreichen, welchen wir kurz vor einer Stunde verlassen hatten. Wir liegen jetzt in der ruhigen Bucht unter Garten, haben aber viel Kette vorgesteckt, denn der Wind ist zum Sturm angewachsen. Zwar ist der Nebel fortgeblasen, aber der Regen rauscht jetzt in Strömen hernieder.

Nach einem schönen Nachmittagsschlaf sitzen wir in der Messe und klönen. Unser Alter macht mit Herrn Regierungsrat Dr. Schatz eine Partie Schach. Dann rollt der erste Spaß über die Back. Draußen heult der Sturm und der Regen klatscht an Deck. Erst nach drei Tagen hat sich das Unwetter gelegt und wir können die Fahrt wieder aufnehmen. Am selbigen Abend erreichen wir Rørvik und gehen dort an die Pier. Der nächste Tag bringt uns nach Sandnessjøen. Trotz des fortgeschrittenen Sommers merkt man es an den etwas längeren Tagen, daß an sich dem Norden nähert.

Tags darauf überschreiten wir den Polarkreis, und somit befinde ich mich wieder im Polargebiet, dort, wo ich nie wieder hin zurückzukehren gedachte.

Bodø wird am späten Nachmittag passiert. Unser Kommandant hat sich vorgenommen, morgen in Narvik zu sein und will deshalb diese Nacht durchfahren. Gegen Abend sehen wir im Norden weit am Horizont, die wilde zackige Linie der Lofoten in der letzten Abendsonne herüber leuchten. So befinden wir uns gegen morgen am Eingang des Ofotfjordes, an dessen innerem Ende unser Ziel liegt. Dieser Fjord scheint sozusagen der ehrlichste unter den Fjorden zu sein. 20 Sm lang, 2 – 3 Sm breit, wenig Untiefen, an beiden Seiten flach ansteigendes Gelände bis zu den Bergen in 800 – 1000 m Höhe.

Man hat nach der langen und beschwerlichen Klippen- und Schärenfahrt das Gefühl, wieder richtig im Wasser zu schwimmen. Wuchtig und offen liegt das Fahrwasser da.

Während meiner Wache spüre ich so etwas wie Langeweile auf der Brücke. Nach der schier endlosen Schärenfahrt, wo man alle Hände voll zu tun hat, kommt mir diese Fahrt wie eine Erholung vor. Mein Rudermann gönnt sich verstohlen ein Pfeifchen. Der Alte hat nichts dagegen. So schlimm wird es hier an Bord bei der Marine nicht genommen. Weit voraus, in den dunklen Bergabhängen leuchtet es plötzlich weiß auf – die Dampfwolken einer Lokomotive der Narviker Erzbahn.

Seit dem Mittelalter ist das Eisenerz von Gällivare und Kiruna als eines der Besten bekannt. Heute im Zeitalter der Technik kann kaum eine eisenverarbeitende Nation ohne das schwedische Eisenerz auskommen. Mit dem immer mehr steigenden Umsatz an eisernen Geräten bei allen Völkern der Erde zeigte sich die Abschlagsmöglichkeit des Erzes von den schwedischen Häfen Umeå und Haparanda im Bottnischen Meerbusen als zu schwierig. Hauptabnehmer ist England. Der Seeweg durch die Ostsee ist sehr weit. Außerdem sind die Häfen von Oktober bis März vereist und somit für die Schiffahrt unbenutzbar. Nicht ganz so schlimm wäre es mit den schwedischen Häfen Lysekil und Göteborg. Die Vereisung dauert dort nur von Dezember bis Januar. Aber der Transport des Erzes mit der Eisenbahn verteuert den Rohstoff um ein Bedeutendes. Erst als Norwegen den Bau einer Bahn bis zur Bucht am Ofotfjord, nahe dem kleinen Fischerdörfchen Narvik, durch Verhandlungen mit England genehmigte, nahm der Umsatz durch die dort gebaute Erzpier enorm zu.

Dieser kleine Naturhafen ist den ganzen Winter über eisfrei, die Bahnstrecke von Kiruna und Gällivare im Gegensatz zu allen anderen Häfen um 3/5 verkürzt. Die Erzpier ist kurz. Zwei mittlere Dampfer können maximal anlegen. Durch die mechanische Entladung der Spezialwagen für Schüttladungen geht die Beladung der Dampfer sehr schnell. In wenigen Stunden sind mehrere 1.000 Tonnen umgeschlagen.

Es ist erklärlich, daß die Einwohnerschaft des früher so unbedeutenden kleinen Narvik erheblich zugenommen hat. Man sollte meinen, daß diese Entwicklung, wie hier sonst allgemein, im typischen amerikanischen Stil erfolgen würde. Für Narvik ist es aber nicht der Fall. Anscheinend ist das Temperament der Nordnorweger zu schwerfällig und hängt zu sehr am Alten fest. Jeder baut sich sein eigenes kleines Häuschen aus Holz, rot, grün oder weiß gestrichen, wie sie hier überall im Lande stehen und lebt darin glücklich und zufrieden. Durch die Einwirkung der Gefechte im April 1940 hat der Ort stark gelitten und der Hafen liegt voller Wracks der gesunkenen deutschen Schiffe.

Wir liegen auf Reede vor Anker und warten schon acht Tage lang auf die Dinge, die jetzt kommen sollen. An der Westseite der Bucht liegt die Grille an einer provisorischen Holzpier. An Bord ist der B. D. U. Nord einquartiert (Befehlshaber der U-Boote). In den letzten Tagen findet zwischen uns und der Grille ein lebhafter Barkassenverkehr statt. Offiziere kommen und gehen. Auch sitzen unser Alter und der Regierungsrat dort drüben viel an Bord. Sonst aber herrscht eisiges Schweigen und unter der Mannschaft ein heimliches Rätselraten. Es wird viel davon erzählt, wie sie im WALNUSSBLATT 11/2023 27 vorigen Jahr eine automatische Wetterstation auf der Insel Jan Mayen abgesetzt haben.

Heute Abend erklärt uns der Alte kurz: „Morgen früh 8.00 Uhr laufen wir weiter nach Norden aus!“ Keiner wagt, weitere Fragen zu stellen.

So geht es am nächsten Morgen bis nach Lødingen und weiter nach Norden bis Harstad. Als ich auf Wache kam, drehten wir hinter Harstad gerade nach links ab in den Bergfjord, welcher in die Andenes-Bucht mündet. Auch diese Gegend zählt zu den großen Naturschönheiten Nordnorwegens. Nur weil sie nicht an den direkten Verkehrswegen liegt, sondern im Süden und Westen des gewaltigen, kahlen Hochlands der Lofoten, bizarr und verworren, welches dann in nördlicher Richtung flach zu der Spitze von Andenes ausläuft, ist sie allgemein weniger bekannt. Im Osten die hohen abgerundeten Flächen der Insel Senja, vielfach durch die tiefen Einschnitte der Fjorde unterbrochen. Im Norden grüßt die freie, unendliche See das Europäische Nordmeer herüber.

5. Wohin, wie und warum

Seit einigen Stunden huscht der Alte mit etlichen Leuten auf dem Vordeck umher. Die beiden Gebrüder Helms, als alte, praktische Seeleute, sind dabei, die Deckladung seefest zu zurren. Da kommt Heinz Carlsen zu mir auf die Brücke und teilt mir mit, daß in einer Stunde eine Musterung stattfindet. Er hätte soeben schon alle Leute geweckt.

„Das kann ja alles noch nett werden.“ Wir unterhalten uns eine Weile über diese gespannte Lage und unser rätselhaftes Ziel, bis die Leute an Deck kommen. Aber dann ist auch schon der Alte da und gibt in kurzen Worten bekannt: „Seit Rostock befindet sich bei uns an Bord das Unternehmen ‚Baßgeige‘ mit ihrem Führer Herrn Regierungsrat Professor Schatz, weitere acht Mann und gesamter Ausrüstung. Ihre Aufgabe besteht darin, an der Ostgrönlandküste eine Wetterbeobachtungs- und Funkstation in Betrieb zu setzen, und wir haben sie dort hinzubringen und nach Erledigung dieser Aufgabe, möglichst in diesem Jahre wieder zurückzukehren. Wegtreten!“

So höre ich es in der Brückenwache. Es ist bestimmt nicht viel, aber doch allerhand. Mein Gehirn und mein Kreiselkompaß sind eins. Beide drehen sich, brummen leise und stehen doch still.

Sturm kommt zur Ablösung: „Kannst ins Kartenhaus gehen und dich informieren lassen!“

„Danke, habe die Vorsuppe soeben genossen!“ Aber der Fall interessiert mich ungemein und vor allem die Frage:

„Wie“

Im Kartenhaus finde ich außer unserem Alten, Carlsen, Prof. Schatz und seinen Assistenten, Dr. G. Triloff, welcher uns nun folgenden Vortrag hält:

„Der Golfstrom, entstehend im mexikanischen Golf, vorbeifließend an der Küste Floridas, durchströmt den Ozean, gewaltige Wassermengen mit sich führend an den Küsten Frankreichs, Englands und Norwegens vorbei und ergießt sich mit dieser gewaltigen Wassermasse in die Barentssee, zwischen Spitzbergen und Norwegen und somit in große Polarbuchten des Nordpoles. Es ist erklärlich, daß er auch weitere Abflüsse besitzt. So ist unter der Beringstraße zwischen Sibirien und Alaska der Ostgrönlandstrom zwischen Grönland und Spitzbergen, als einer der Größten dieser Art anzusehen. Er fließt an der Küste Grönlands entlang, vorbei an der kleinen Insel Jan Mayen, zwischen Irland und Grönland, der Dänemarkstraße hindurch über die Südspitze Grönlands hinaus, wird da durch die mitgeführten Eisberge der Schiffahrt Europa – Nordamerika sehr gefährlich (Fall Titanic) bis nach Neufundland, wo er sich dann langsam auflöst. Es gab eine Zeit im 17. und 18. Jahrhundert, wo diese Gegend sehr bekannt war. Große Herden von Walfischen tummelten sich an der Eisgrenze. Ganze Flotten von Schiffen aus Holland, England und Deutschland trafen sich hier, um den Wal wegen seines kostbaren und vielbegehrten Öles zu jagen. Die Schiffe befanden sich während der Fangzeit immer in unmittelbarer Nähe der Eisgrenze. Aber wehe, wenn sie ein Sturm überraschte. Gar bald waren die schwer manövrierfähigen Segelschiffe seiner Zeit vom Eis umschlossen. Nicht nur das Eis wandert, sondern es kommt hier und dort zu heftigen Stauungen. Mit fürchterlicher Gewalt wird das Eis zusammengepreßt und aufeinander geschoben. Das Schiff, welches in solche Eispressung gerät, ist meistens rettungslos verloren. Die Seiten werden eingedrückt, es wird leck und beginnt zu sinken.

Noch in heutiger Zeit bringen Schiffsmeldungen von Irland, daß jährlich immer wieder, vor allem Fischdampfer von diesem Schicksal überrascht werden. Noch nie ist der Ostgrönlandstrom auf dieser Breite von einem Schiff durchfahren worden. Seine gewaltigen Eismassen verhinderten jede Passage. Wollte man die Ostgrönlandküste befahren, so drang man von Süden her, durch die Dänemarkstraße kommend, dicht unter der Küste nach Norden vor. Hatte man Glück, so konnte man ziemlich weit vorstoßen. So erreichte die dänische Grönlandexpedition 1908 die Dove-Bucht (77 Grad n. B.) nördlich der Insel Koldewey und nannte ihren Überwinterungsplatz Dänemarkhafen. Fast die meisten Polarunternehmen an dieser Küste suchten diesen Weg. Nur der Bel-Hiro-Expedition, Ende des vorigen Jahrhunderts gelang es, bis zur „Ile de France“, einer Insel nördlich des Skaerfjordes am 81. Grad n. B., vorzustoßen. Alle anderen Unternehmen erreichten nur den 75. Grad n. B. Diese Möglichkeit besteht aber nur in den Hochsommermonaten Juli – August. In dieser Zeit ist das Eis ziemlich dünn und aufgelöst. Der letzte Winter war verhältnismäßig mild gewesen. So kann man annehmen, daß diese Barriere nicht besonders breit und auch nicht besonders stark sein wird. Dieser allgemeine Seeweg, vom Süden her durch die Dänemarkstraße, ist uns infolge der starken Kontrolle des Feindes nicht möglich und somit von vornherein ausgeschlossen. Es bleibt uns somit die einzige Möglichkeit, den Ostgrönlandstrom auf einer solchen Höhe zu durchbrechen. Vorgesehen ist ungefähr der 77. Grad, um so den Skaerfjord zu erreichen“, und zeigte damit auf eine vorgelagerte Stelle des Germanialandes (Nordostgrönland). „Luftaufnahmen unserer Fernaufklärer bestätigen meine Annahmen, daß der Eisgürtel in diesem Jahre sehr schwach ist. So müssen wir versuchen, wie alle unsere Vorgänger, die diese Breite besucht haben, Unmögliches möglich zu machen und wir wollten ja schließlich nicht zum Nordpol“.

Das war ja wieder allerhand! Ich gehe noch mal auf die Brücke, um frische Luft zu schnappen. Sie tut mir wirklich gut. Weit im Osten verblassen am Horizont die grauen Felsen der hohen Küste. Ein leichter Südwind kräuselt die eben noch spiegelglatte See. Die Sonne lacht dazu, als wenn sie sich zu unserem Vorhaben freute.

Wir steuern schon den auf der Karte abgesteckten Kurs (345 Grad) an. Damit wollen wir auf ungefähr 77 Grad n. B. die Eisgrenze erreichen.

Ich muss sagen, mir ist gar nicht so wohl zu Mute. Ja! Wäre ich damit nicht so überrascht worden, dann wäre es vielleicht besser gewesen. Oder hätte ich mich darauf vorbereiten können, vielleicht wäre ich dann mit einer großen Begeisterung dabei gewesen. Jetzt sehe ich die Sache sehr skeptisch, denn ich weiß, daß keiner von uns ein Eisfachmann ist. Dazu gehört eine große und lange Erfahrung.

Schließlich bin ich jetzt dabei und werde auch mitmachen. Aber nun steigt mir plötzlich die Frage auf: „Warum denn eigentlich?“

Meinen Freund Triloff finde ich in seiner Kammer. Er ist der einzige Arktisfachmann und hat schon einen Winter auf Spitzbergen verbracht. Wahrscheinlich hatte er schon mit meinem Kommen gerechnet, denn er drückte mir gleich ein paar Bücher in die Hand. Aber trotzdem verbringen wir noch einige Stunden angeregter Unterhaltung bei Bier und Schokolade. Dann aber nehme ich meine Bücher und suche eine Kammer auf, um auch meine letzte Frage nach Möglichkeit zu klären:

„Warum“

Was wußte ich bis jetzt eigentlich über Grönland? Zwar hatte ich früher einige Bücher über Polarforschung gelesen. Sie hatten mich wohl sehr interessiert, aber ich hatte mich nie näher damit befaßt.

Nun studiere ich desto eingehender die Bücher, welche ich von Triloff bekommen habe. In unserer Bordbibliothek werde ich auch fündig, sei es volkstümliche Literatur oder Fachwissenschaft der Geologie oder Meteorologie. Somit schält sich folgender Grundriß heraus:

Grönland gehört zum amerikanischen Kontinent und ist dänisches Hoheitsgebiet. Nur ein Küstenstreifen an der Ostseite am 71° 30 – 75 ° 40 N ist als Eirik-Raudes-Land von Norwegen annektiert. Das Land reicht vom 80. Breitengrad hinab bis zum 60. Breitengrad. Obgleich die Südspitze mit Oslo auf gleicher Höhe liegt, ist sie fast vegetationslos. Diese, sowie die Westküste, ist nur von den Einwohnern, den Eskimos, besiedelt. Hier liegt die größere Ansiedlung Godthåb auf 64° 10 N. Von der Ostküste sind sie im vorigen Jahrhundert infolge der immer mehr vereisenden Küste abgezogen, weil sie dadurch den Fischfang, ihrer einzigen Ernährungsquelle, nicht mehr nachgehen konnten. Jetzt ist diese Küstenstrecke ungefähr bis zum 75. Grad nur noch von vereinzelten dänischen und norwegischen Jägern bewohnt, welche der Jagd auf Pelztiere obliegen?. Infolge des immer kalten Klimas gilt der Pelz aus Grönland als besonders wertvoll und macht somit die Jagd lohnend. Im Wesentlichen wird dem Fuchs mit Fallen nachgestellt. Dazu hat der Jäger ein bestimmtes Revier, welches sich oft mehrere 100 km an der Küste entlang erstreckt. Es ist bestimmt keine leichte Arbeit, mit den Hundeschlitten oder mit Skiern das Revier abzugehen, um die Fallen zu kontrollieren. Besonders schlimm ist es, wenn man von einem der gefürchteten Polarstürme überrascht wird. Es hilft weiter nichts, wenn man nicht eine der Schutzhütten erreicht, welche man sich auf seiner Strecke erbaut hat, als hinter den nächsten Felsen in Windschutz zu gehen, um dort das Ende des tagelangen Sturmes abzuwarten. Nur harte Männer mit eiserner Energie sind zu diesem entsagungsvollen Dasein fähig. Besonders eignet sich der norwegische Küstenbewohner zu diesem harten Leben. Denn mehrere 100 km erst wohnt der Nachbar in seiner ebenso einsamen Hütte. Meistens betreiben sie das Geschäft zu zweit. Oft fristet auch nur einer sein Dasein in diesem Polarschloß, wie sie es so stolz nennen. Es hat nur wenige Meter im Quadrat. Auf der einen Seite stehen zwei Betten nach Seemannsart übereinander. Ein kleiner Tisch, zwei Stühle und ein Ofen füllen den Raum vollkommen aus. Die Höhe ist so berechnet, daß der Bewohner gerade aufrecht stehen kann. Denn je mehr Raum, desto mehr Heizung ist nötig.

Immerhin muss es ein lohnendes Gewerbe sein. Wenn nach einem Jahre der Kutter kommt, um die Beute abzuholen, der Kontrakt aber mit der Unternehmungsgesellschaft abgelaufen ist, erklären sie sich oft bereit, noch ein Jahr mitzumachen oder im nächsten Jahr wieder zurückzukehren. Es soll Leute geben, welche so schon zehn oder mehr Jahre hintereinander dort verbracht haben. Kehren sie dann wieder in ihre Heimat zurück, so kommen sie sicher im nächsten Jahre wieder. Die Welt mit ihrer Kultur, ihren Gesetzen und vielen Menschen ist ihnen fremd geworden. Ein unwiderstehlicher Drang zieht sie wieder zurück zu den rauen Gefilden des Scorebysund, zur großen Freiheit und unendlichen Einsamkeit. „Arktisbiten!“ – von der Arktis gebissen sagt der Fangstmann dazu und freut sich, seine Wohnung, die einsame Hütte am grauen Gestade Ostgrönlands, wieder beziehen zu können.

Der Tierreichtum ist nicht besonders groß. Der Polarfuchs lebt hauptsächlich von dem zahlreich vorkommenden Lemming, der Polarratte. Der Eisbär lebt seltener an Land, sondern durchstreift hauptsächlich die unendlichen Eiswüsten auf Jagd nach der Robbe. An die größeren Tiere, wie an das Walroß, wagt er sich weniger heran. Es soll aber beobachtet worden sein, daß er auch mit diesen Riesen fertig geworden ist. Weniger versucht er es an dem im Küstenstrich lebenden Polarrind, dem Moschusochsen. Er ist ein Herdentier (acht – 20 Tiere) und ernährt sich wie der Hase von den wenigen Grasbüscheln und dem kargen Polarmoos, welche an dem vom Schnee freigewehten Stellen spärlich wachsen. Schneehuhn und Sperling suchen nach den Samenkörnern dieser Pflanzen. Enten und Gänse streichen am Küstensaum von einer Wage zur anderen. Jedes Tier, ob Pflanzen- oder Fleischfresser ist darauf eingestellt, sich während der kurzen Sommerzeit einen solchen Fettwanst zuzulegen, der für die Winterzeit als Kälteschutz und Nahrungsreserve dient.

Leben ist nur an der Küste. Überspringt man das Randgebirge, so betritt man die unendliche Fläche des Inlandeises, von welchem das ganze Land im Inneren bedeckt ist. In den Jahren 1927 – 1928 hat der deutsche Wissenschaftler A. Wegener dort mehrere Tiefenmessungen vorgenommen. Auf seiner Station „Eismitte“ auf 74 Grad n. B., 400 km von der Küste entfernt, ist er auf eine Eistiefe von 2.500 m gekommen. Es ist unvorstellbar, welche Eismassen bei dieser Dicke auf der Insel mit ihrer Länge von 1.500 km und einer durchschnittlichen Breite von 800 km lagern.

Unvorstellbar ist es auch, wie groß der Einfluß dieser Eis- und Kältemasse auf die Wetterlage ist. Hier entstehen die großen Tiefdruckgebiete. Sie werden von den Warmluftmassen des weiter im Süden vorbeifließenden Golfstromes angezogen und durch die Erdrotation hervorgerufene West-Ostrichtung der gesamten Erdluftmasse nach Osten über Europa gedrückt.

Daraus geht hervor, daß neben dem Golfstrom, Grönland als die Wetterküche Europas anzusehen ist und somit, wie wichtig die Beobachtung der dortigen Wetterlage für die Bestimmung der langfristigen Wettervorhersagen für Europa ist.

Daß aber für die heutige Kriegsführung die Wettervorhersage ein sehr wichtiger Faktor ist, ist damit erklärlich, unter welchen Umständen von beiden Seiten der Gegner Wetterbeobachtungsstationen in diesem Gebiet errichtet werden. Für uns ist es umso schwieriger, da die Zufahrtsstraßen sowie das Land selber vom Gegner kontrolliert und wir somit zu außergewöhnlichen Maßnahmen gezwungen werden.

In der nächsten Folge unseres WALNUSSblattes geht die Reise weiter

Erschien in der 11. Ausgabe des WALNUSSblatt-Magazins

Der erste Teil der Serie "Unternehmen Baßgeige" erschien im Heft 11. (November 2023). Sie können hier die PDF-Datei kostenlos lesen und herunterladen:

Das WALNUSSblatt – Magazin für Geist, Herz und Verstand, erscheint vier Mal im Jahr und kann einzeln bestellt oder abonniert werden:



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